100 Jahre Bobertalsperre bei Mauer

 

Festrede zum 36. Heimattreffen des Kreises Löwenberg (Schl.) am 25./26. August 2012

 

Über ein Jahr ist inzwischen vergangen, seit Frau Barbara Barandun, die aus Mauer stammt, den Anstoß zu diesem besonderen Jubiläum gegeben hat. Nicht lange danach habe ich begonnen, deutsche Bibliotheken und polnische Staatsarchive zu durchforsten; auf der Suche nach weiteren Detailinformationen, die in unserer Heimatstube des Kreises Löwenberg - hier in Empelde - nicht vorhanden sind.

 

Die Artikel in der Tageszeitung „Der Bote aus dem Riesengebirge“ (Staatsarchiv Hirschberg) und vor allem die Original-Bauakten (Staatsarchiv Breslau) veranschaulichen die Bauphase und die Verhältnisse der damaligen Zeit.

 

Wer sich an dem Anblick der riesigen Sperrmauer oder des großen Stausees erfreut, wird sich kaum vorstellen, welche enormen Anstrengungen nötig waren, um diese Anlage zu erbauen. Anstrengungen körperlicher Art, natürlich auch Anstrengungen im Bezug auf Planung und Logistik wie aber auch schon im Vorfeld die Anstrengungen für die Entscheidung zum Bau der Bobertalsperre bei Mauer, denn in der damaligen Zeit stand man dem Talsperrenbau eher skeptisch gegenüber, weil man sie nicht für standhaft genug erachtete; schließlich waren schon Talsperren gebrochen.

 

Wie kam es also dazu? In unserer Gebirgsgegend ist es gar nicht die Schneeschmelze im Frühjahr, die die Flüsse und Bäche mit großen Wassermengen füllt. Vielmehr kommen hauptsächlich in den Sommermonaten starke Gewitter mit heftigen Regengüssen auf, die unsere schlesischen Flüsse in kürzester Zeit so ansteigen lassen, dass sie über die Ufer treten und mit hoher Geschwindigkeit alles mitnehmen oder vernichten, was ihnen im Weg steht.

 

Nach unzähligen, Verderben bringenden Hochwasserkatastrophen war es offensichtlich, dass sich die Kosten für einen effektiven Hochwasserschutz gegenüber den Aufwendungen der Wiederherstellungsarbeiten in kurzer Zeit amortisieren würden.

 

Während dieser Überlegungen kam ein neues Hochwasser Ende Juli 1897, das erneut großen Schaden anrichtete. Im Kreis Löwenberg wurde der Schadenswert auf 1 Million Mark geschätzt, im angrenzenden Kreis Hirschberg sogar auf 5 Millionen Mark.

 

So entstand das Schlesische Hochwasserschutzgesetz vom 3. Juli 1900 zum Ausbau der schlesischen Flüsse Hotzenplotz, Glatzer Neiße, Weistritz, Katzbach, Bober, Queis und Lausitzer Neiße. Dadurch erhielten die Flüsse Queis, Bober und Weistritz Talsperren. Als erste wurde die Queistalsperre bei Marklissa gebaut, anschließend die Bobertalsperre bei Mauer, die nicht nur die größte dieses Projekts, sondern nach ihrer Fertigstellung sogar die größte in ganz Europa war.

 

Die beiden Talsperren bei Marklissa und bei Mauer wurden zwar zur Wasserrückhaltung geplant, doch fügte man ihnen noch den Zweck der Stromgewinnung zu, wodurch die Elektrizität in Städte und Dörfer einzog und ein großer Teil Niederschlesiens mit Strom versorgt werden konnte. Die Queistalsperre bei Goldentraum und die Bobertalsperren bei Böberröhrsdorf und Boberullersdorf wurden später allein zum Zweck der Stromgewinnung gebaut.

 

Aber kommen wir zurück zu unserer Bobertalsperre bei Mauer:

 

Die Vorarbeiten fielen in die Jahre 1902 und 1903; dazu gehörten Schürfarbeiten, Bodenuntersuchungen, Geländeaufnahmen, der Bau eines Versuchsstollens für den Umlaufstollen wie auch Planungen und Verhandlungen über die Landankäufe des späteren Talsperrengebietes.

 

Der eigentliche Baubeginn war im Jahr 1904, wie es auch am Denkmal in der Mitte der Sperrmauerkrone dokumentiert wurde.

 

Zuerst musste der Umlaufstollen auf der rechten Boberseite hergestellt werden, um den Flusslauf des Bobers für die Dauer der Bauarbeiten an der Baustelle vorbeizuführen. Dazu benötigte man noch ein Umleistungswehr, das direkt unterhalb des Stolleneinlaufs angelegt wurde, um dem Umlaufstollen das Wasser zuzuleiten. Etwas oberhalb des Stollenauslaufs entstand zum Schutz der Baustelle noch ein Rückstauwehr.

 

Gleichzeitig wurden fünf Baracken zur Unterbringung der Arbeiter errichtet und das so genannte „Kasino-Restaurant“ für deren Verpflegung an der Biegung des Bobers unterhalb der Baustelle gebaut.

 

Da inzwischen mit dem Bau der Bahnstrecke Hirschberg - Lähn - Löwenberg begonnen worden war, mussten Straßen sowohl zur Baustelle als auch zum Eisenbahnanschluss gebaut werden.

 

Im Juni 1906 konnte schließlich mit den Erdarbeiten begonnen werden - zigtausende Kubikmeter Boden und Felsgestein wurden aus der Baugrube entfernt. Leider haben schon zwei Hochwasser im September 1906 und Juli 1907 enorme Verzögerungen mit sich gebracht, bevor schließlich am 20. Juni 1908 die feierliche Grundsteinlegung erfolgen konnte. Bei dieser Gelegenheit sprach der Vorsitzende des Provinzialland-tages, der Herzog von Ratibor, die oft zitierten Worte:

 

            Den Wellen zum Trutz,

            dem Lande zu Schutz,

            dem Ganzen zum Nutz!

 

Der Baubeginn der Sperrmauer in Bruchsteinwerk erfolgte im Juli 1908 und bis Ende Juni 1909 waren ca. 6 Meter Mauerwerk auf der großen Grundfläche des Fundaments fertig gestellt, so dass etwa die Höhe des alten Boberbetts erreicht war. Ende Oktober 1909 war die Staumauer ca. 12 Meter hoch und Mitte November 1911, als der erste Frost einsetzte, war die Staumauer weitestgehend fertiggestellt. Die letzten Maurerarbeiten wurden Anfang 1912 ausgeführt.

 

Im Laufe der acht Jahre wurden die Bauarbeiten immer wieder behindert und unterbrochen - sowohl durch kleinere Zwischenfälle wie dem Streik der Arbeiter am 8. Mai 1911 als auch durch wiederkehrende Hochwasser. Bedauerlicherweise verloren auch einige Arbeiter ihr Leben während der Bauphase.

 

Schließlich konnte am 16. November 1912 die Einweihung erfolgen, bei der kein Geringerer als Kaiser Wilhelm II. anwesend war, auf dessen Initiative hin die Talsperre gebaut wurde. Kein Wunder also, dass ihm in der Mitte der Staumauerkrone ein entsprechendes Denkmal gesetzt wurde.

 

Nach der Einweihung erfolgten die letzten Fertigstellungsarbeiten, so dass die Talsperre Anfang 1913 in Betrieb genommen werden konnte.

 

Als 1914 der erste Weltkrieg ausbrach, wurde die Talsperre durch ein Wachkommando geschützt, doch die eigentliche Bewährungsprobe kam mit dem Hochwasser im September 1915, als zum ersten Mal der Überlauf in Tätigkeit gesetzt wurde. Damals lief das Wasser noch über natürliches Felsgestein, doch stellte man fest, dass es sehr stark unter der Beanspruchung litt. So wurde der Überlauf nach dem Ende des Weltkrieges, in den Jahren 1923 bis 1925, in Treppenform ausgebaut.

Auch während des zweiten Weltkrieges war man um die Talsperre besorgt und schützte sie mit Flakgeschützen. Tatsächlich wurde sie zwei Mal bombardiert, aber glücklicherweise nicht getroffen, denn das Ausmaß einer derartigen Katastrophe wäre kaum vorstellbar; den Schätzungen entsprechend wäre das gesamte Einzugsgebiet bis hin nach Löwenberg unter Wasser gesetzt worden.

 

Unzählige Hochwasser hat die Talsperre abgeschwächt und mehrere Male trat der Überlauf in Tätigkeit. Zu erwähnen bleibt vor allem, dass entgegen allen Berechnungen am 3. August 1977 erstmals auch die Sperrmauerkrone überflutet wurde.

 

Neben ihrem Zweck zum Hochwasserschutz und der Elektrizitätsgewinnung war und ist die Gesamtanlage der Bobertalsperre bei Mauer ein beliebtes Ausflugsziel, wozu auch zunächst das Kasino-Restaurant und ab 1937 die Bachmann-Baude mit ihrer traumhaften Lage enorm beigetragen haben. Zu deutscher Zeit wurde sehr viel für den Tourismus getan, heutzutage fristet die Talsperre dahingehend eher ein Schattendasein. Das ist eigentlich sehr schade, doch muss ich gestehen, dass ich bei meinen Schlesien-Reisen die Stille an diesem wunderschönen Ort sehr genieße.

 

So viel an dieser Stelle zum groben Überblick; tatsächlich könnte ich noch lange über die Bobertalsperre bei Mauer referieren. Als ich kürzlich einem Außenstehenden von diesem Projekt erzählte, lächelte er mich an und sagte: "Du kommst ja richtig ins Schwärmen!" Da hatte er völlig Recht, denn andernfalls ist man nicht in der Lage, monatelang das bisschen Freizeit, das einem heutzutage als Berufstätige bleibt, freiwillig mit einem derartigen Projekt zu verbringen und daran auch noch Freude zu haben.

 

Viel Freude wünsche ich deshalb auch allen Interessierten mit unserer neuen Veröffentlichung "100 Jahre Bobertalsperre bei Mauer", die wir aufgrund der Jubiläumsfeierlichkeiten vor Ort auch erstmals zweisprachig deutsch-polnisch herausgegeben haben. Tatsächlich war der Zuspruch für dieses Buch am vergangenen Wochenende in Schlesien sowohl von deutscher als auch von polnischer Seite größer, als ich es zu hoffen gewagt habe.

 

Ich wünsche uns Allen noch einige schöne Stunden beim diesjährigen Kreistreffen, das wir zu Ehren dieses beeindruckenden Bauwerk unter das Motto "100 Jahre Bobertalsperre" gestellt haben. Dazu gibt es eine kleine Sonderausstellung mit Ansichtskarten aus früherer Zeit; allerdings wollten wir es auch nicht versäumen, einige Impressionen von der 100-Jahr-Feier am 17. bis 19. August 2012 vor Ort darzulegen.

 

Doris Baumert, Stadtoldendorf