Sitten und Bräuche
Festrede zum 34.
Heimattreffen des Kreises Löwenberg (Schl.) am 30./31.
August 2008
Seit einigen Jahren pflegen wir den Brauch, die
Heimattreffen des Kreises Löwenberg unter ein Motto zu stellen und dazu eine
Festschrift zu veröffentlichen. In diesem Jahr wollen wir uns auf die Sitten
und Bräuche im Kreis Löwenberg besinnen. Unsere Festschrift besteht wie vor
zwei Jahren aus kleinen Geschichten, die Verfasser aus dem Kreis Löwenberg den
Heimatzeitungen honorarfrei zur Verfügung gestellt haben. Da stellt sich
zunächst die Frage: Sitten und Bräuche, was ist das eigentlich?
Nach einer 100 Jahre alten Definition versteht man unter
Sitte „den auf Tradition und Gewohnheit
beruhenden, durch moralische Werte, Regeln und Normen bedingten, in einer
bestimmten sozialen Gruppe oder Gemeinschaft üblichen und für den Einzelnen
dann als verbindlich geltenden Wertekanon“ - eine wahrhaft nüchterne Betrachtungsweise.
Aber Schlagworte wie „die gute Sitte“, „Sitte und Anstand“ ebenso wie „der gute
Ton“ verdeutlichen uns, dass sich Sitte tatsächlich aus dem eigenen Umfeld und
dem damit verbundenen Werte- und Ehrgefühl ableitet. Dementsprechend finden wir
in den vergangenen Jahrhunderten große Veränderungen in den Sitten auch in
unserem Kreis Löwenberg. Während zur Zeit der Besiedlung unserer Gegend die Menschen
noch sehr auf ihr eigenes Wohl bedacht und somit die Sitten sehr roh waren,
brachten gegen Ende des 12. Jahrhunderts der Einfluss und das vorbildliche
Verhalten Herzogs Heinrichs I. und seiner Frau Hedwig wie aber auch die
religiösen Werte der Kirche nach und nach ein Umdenken hin zum Allgemeinwohl
der Gesellschaft und somit eine Verfeinerung der Sitten mit sich. Da sich aber
nicht alle Unsitten durch das tägliche Miteinander ausmerzen ließen, halfen in
der Folge die staatlichen Stellen und Obrigkeiten mit Verordnungen und Gesetzen
nach. So lautet beispielsweise ein Gesetz des Kaisers Rudolphs II. aus dem Jahr
1577: „Jungfrauen und Witwen auf dem Lande und in Städten, die ihren Ehrenstand
überschreiten, sollen desselben nicht nur entsetzt und gefänglich
eingezogen werden, sondern auch ihren väterlichen und mütterlichen Erbteils zum
Besten des nächsten Verwandten verlustig sein. Junggesellen und Witwer, welche
Unzucht begangen haben, sollen mit Leibesstrafen und Landesverweisung belegt
werden“.
Dass dieser spezielle Gesichtspunkt sittlichen Verhaltens
fortwährend eine große Rolle spielte, spiegelt sich auch darin wieder, dass
mancherorts im 18. und 19. Jahrhundert die Taufeinträge unehelicher Kinder im
Kirchenbuch verkehrt herum, also auf dem Kopf stehend, oder sogar separat am
Ende des Buches zu finden sind. Dazu passend erging 1798 der Allerhöchste
Befehl, „dass die Prediger nie den Namen des Vaters eines unehelichen Kindes
ins Kirchenbuch eintragen sollen“.
Die Menschen im Kreis Löwenberg werden jedoch langfristig
als anständig und sittsam beschrieben; in der Löwenberger Chronik aus dem Jahr
1824 wird eben diese Sittsamkeit auch wieder damit belegt, dass in den umliegenden
Dörfern im 18. Jahrhundert sehr selten uneheliche Kinder geboren wurden.
Aber Sitte ist doch viel mehr! In unserer begleitenden
Festschrift finden wir beispielsweise in den zahlreichen Erzählungen immer
wieder den Hinweis, es sei Sitte gewesen, dass der Vater am Sonntagvormittag
mit den Kindern zum Gottesdienst ging. Was uns hier aus der ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts berichtet wird, ist tatsächlich eine alte Tradition, die in
unserer Region bereits Ende des 18. Jahrhunderts gepflegt wurde.
Der Begriff „Sitte“ wird also immer mit Moral und Anstand in
Verbindung gebracht, man kann Sitten achten, bewahren und pflegen, aber auch
verletzen und brechen. Sie unterliegen langfristig dem sozialen Wandel, werden
verschärft oder gelockert.
Bräuche dagegen sind immer wiederkehrende Gepflogenheiten oder
bestimmen den Ablauf bestimmter Zeremonien. Die meisten Bräuche beziehen sich
auf den Jahresverlauf, so dass wir in unserer Festschrift die Erzählungen
ebenfalls in ihrer zeitlichen Abfolge geordnet haben und im Anschluss daran die
kalenderunabhängigen Bräuche, Feste und Feierlichkeiten wiedergeben.
All´ diese Begebenheiten haben einen festlichen oder
ausgelassenen Charakter, der es den Menschen ermöglichte, sich für eine Weile
aus den Mühen des Alltags zu lösen. Deshalb möchten wir heute und mit unserer
Festschrift die Vergangenheit wieder aufleben lassen und an die besonderen Tage
erinnern, die man im Kreis Löwenberg erleben durfte:
- Die Faschingszeit
wurde ähnlich begangen, wie wir es auch heute noch kennen; es gab fröhliche,
ausgelassene Feste, bei denen vorwiegend die Vereine eine besondere Rolle
spielten.
- Die anschließende
Fastenzeit war eine sehr ruhige und besinnliche Zeit.
- Der Lähner
Taubenmarkt kann auf eine lange Tradition zurückblicken, war weit über die
Stadtgrenzen hinaus bekannt und entsprechend gut besucht. Taubenmärkte gab es
ebenfalls in Friedeberg und Liebenthal.
- Der Gründonnerstag
gehörte der Jugend, die von Haus zu Haus ging und kleine Gaben einsammelte. Die
anschließenden Ostertage wurden von der kirchlichen Liturgie bestimmt und zu
Hause in Ruhe und mit Festessen gefeiert.
- Pfingsten wurde
ebenfalls als religiöses Fest begangen, aber auch gern für die ersten
Wanderausflüge des Jahres genutzt.
- Über das in
Schlesien übliche Sommersingen ist uns aus dem Kreis Löwenberg nichts Konkretes
überliefert. Es wurde nur hin und wieder erwähnt, so dass davon auszugehen ist,
dass es an manchen Orten stattgefunden hat.
- Auch Badefreuden gab
es im Kreis Löwenberg; Badeteiche und Schwimmbäder fanden sich an mehreren Orten,
teilweise sogar schon mit Sprungbrett und Rutschbahn ausgestattet.
- Das Löwenberger
Blücherfest Ende August geht auf die ruhmreiche Schlacht an der Katzbach im
Jahr 1813 zurück, nach der der siegreiche General Blücher in Löwenberg einen
Dankgottesdienst halten ließ. Im Laufe der Jahrzehnte nahm es an Beliebtheit zu,
so dass die Löwenberger eine ständig steigende Anzahl auswärtiger Gäste
begrüßen konnten.
- Die Erntezeit war
eine sehr arbeitsintensive und daher anstrengende Zeit, weshalb das anschließende
Erntedankfest mit Gottesdienst, Festtagsschmaus und Tanzveranstaltungen einen besonderen
Stellenwert hatte.
- Vielerorts wurde im
Herbst auch die Kirmes, das ursprüngliche Kirchweihfest, gefeiert. In den
Städten entwickelten sich Jahrmärkte mit Karussell, Wurst- und Kuchenbuden, die
besondere Leckerbissen bereithielten.
- Die Wintermonate mit
ihren weißen Freuden Schneeballschlacht, Schlittenfahren, Schlittschuhlaufen,
der Advent mit den langen Winterabenden am warmen Kachelofen, der Christkindlmarkt
in Liebenthal und das religiöse Weihnachtsfest mit dem geschmückten
Weihnachtsbaum, dem Gottesdienstbesuch und dem traditionellen Weihnachtsessen wurden
auch im Kreis Löwenberg mit vielen Bräuchen begangen.
Speziell zu dieser Zeit gab es auch die Bräuche, die auf
altem Aberglauben beruhen oder über zukünftiges Glück oder Unglück berichten
sollten. Wenn am Heiligabend der Vater den Tieren im Stall ein besonderes Essen
brachte, sollten sie ganz prächtig gedeihen. In dieser speziellen Nacht wurde
den Tieren auch die Fähigkeit zugesprochen, miteinander reden zu können; aber
Vorsicht: wer es wagte, sie zu belauschen, sollte Unglück erfahren. Ebenso
wurden in der Heiligen Nacht die Obstbäume mit Strohseil umwickelt und ggf.
noch mit ihnen gesprochen, damit sie im folgenden Jahr üppiger wachsen und
tragen.
Danach folgten die sog. „12 Nächte“ vom 1. Weihnachtstag bis
6. Januar, denen ein fast mystischer Zauber zugesprochen wurde. Die
Wetterverhältnisse sagten das Klima des kommenden Jahres voraus, die eigenen
Träume gaben Aufschluss über Glück oder Unglück in den nächsten 12 Monaten, und
nicht zu vergessen, dass in dieser Zeit die Götter und Geister sehr rege waren,
so dass man es unter allen Umständen vermeiden musste, Wäsche aufzuhängen,
damit sich die bösen Geister nicht darin verfangen und Unglück bringen konnten.
Andere Bräuche brachten einfach nur eine kleine Freude in
den Alltag wie beispielsweise der Nikolaustag, an dem artige Kinder mit
Süßigkeiten beschenkt wurden.
Die Bräuche in unserem Heimatkreis waren sehr vielfältig,
haben sich im Laufe der Jahrzehnte, wahrscheinlich sogar Jahrhunderte verändert,
so dass sie schon in den einzelnen Ortschaften voneinander abwichen. In
verschiedenen Dörfern kamen noch Vereins-, Heimat- und Trachtenfeste hinzu,
auch musikalische Festveranstaltungen sind uns überliefert. All´ diese
einzelnen Bräuche hier wiederzugeben, würde den Rahmen sprengen, aber ich bin
mir sicher, dass auch Sie sich jetzt an den einen oder anderen schönen Brauch aus Ihrer Kindheit
wieder erinnern werden.
Da in unserer jetzigen zeitlichen Abfolge als Nächstes das
Erntedankfest ansteht, schließe ich mit einer ca. 200 Jahre alten Volksweise
aus Schlesien, die die frühere Lebensart unserer landwirtschaftlich geprägten
Region eindrücklich wiedergibt:
Mit lautem Jubel bringen wir
den schönsten Erntekranz,
mit seiner Ähren lichten Pracht,
viel mehr als Goldesglanz.
Das Brot, es schmeckt uns doppelt gut,
wir wissen, was das heißt:
Was man mit eigenem Fleisch und Blut
verdient, hat man zur Speis.
So wünschen wir dem Herrn viel Glück
und schenken ihm den Kranz.
Das ist der Schnitter Meisterstück,
wiegt mehr als Goldesglanz.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Doris Baumert, Stadtoldendorf